»Minuszinsen« – und deren Auswirkungen auf den Gesellschaftsvertrag Ihrer GmbH und GmbH & Co. KG

von Dr. Heribert Warken

Bald ist Weihnachten und die Möglichkeit, endlich ein wenig zur Ruhe zu kommen. Niemand erwartet etwas von einem, weniger Telefonate, keine Videomeetings. Das bedeutet: endlich etwas Muße und Zeit, um zu sich selbst zu kommen und auch mal in Ruhe über etwas nachdenken zu können!

Bei dem obigen Thema runzelt man vielleicht zunächst die Stirn und fragt sich, was denn ein Minuszins mit dem eigenen Gesellschaftsvertrag zu tun haben kann. Auf den ersten Blick zunächst gar nichts. Aber auf den zweiten Blick – mit etwas Ruhe und Nachdenken – sogar sehr viel!

Vorsicht: Abfindungsklausel

Das Problem, um was es bei diesem Thema geht, ist die Abfindungsklausel, welche in der Regel in jedem Gesellschaftsvertrag vorhanden ist. Ohne jetzt auf die rechtlichen Probleme von unterschiedlichen Abfindungsklauseln im Gesellschaftsvertrag in einzelnen einzugehen, hier das Problem, worüber Sie vielleicht über die Weihnachtstage einmal nachdenken sollten. Denn vielleicht betrifft es auch Sie selbst!

Die Abfindungsklausel kommt immer dann zum Einsatz, wenn ein Gesellschafter kündigt oder verstirbt und sein Gesellschaftsanteil bewertet werden muss.

Bei der Bewertung von Gesellschaftsanteilen kommt in der Regel das sogenannte „Ertragswertverfahren“ zum Tragen. Diesem Ertragswertverfahren ist systemisch zueigen, dass zukünftige Erträge auf den heutigen Tag mit einem Zinssatz „abdiskontiert“ werden.

Um das Grundproblem dazustellen, möchte ich an dieser Stelle die Ermittlung des Ertragswertes ganz stark vereinfachen (meine Steuerberaterkolleginnen und -kollegen mögen es mir bitte nachsehen)!

Ein kleines Rechenbeispiel …

Also: Bei einem Ertragswertverfahren ergibt sich der Unternehmenswert aus der Formel E/i, wobei E die aus den Jahresergebnissen des Unternehmens hergeleiteten Nettozuflüsse beim Gesellschafter sind und i der Zinssatz, mit dem diese Erträge „abdiskontiert“ werden.

Aus der mathematischen Gleichung ergibt sich, dass, wenn der Nenner i kleiner wird, bei gleichen Jahresergebnissen der Unternehmenswert dennoch immer größer wird. Zur Veranschaulichung ein kleines Beispiel:

Hat das Unternehmen einen Nettozufluss beim Anteilseigner von 100 Geldeinheiten bei einem Zinssatz von 10%, ist der Unternehmenswert 1.000 Geldeinheiten (=100/10%). Der sich hieraus umgekehrt ergebende sog. Kapitalisierungsfaktor ist 10 (nämlich 10×100=1.000). Hierbei zeigt der Kapitalisierungsfaktor auf, wie viele Jahre ich diesen Nettozufluss erzielen muss, um die Investition von 1.000 Geldeinheiten wieder „herauszuhaben“ (betriebswirtschaftlich: Er zeigt meinen Break-Even-Punkt). Im gerade dargestellten Fall also 10 Jahre.

Sinkt jetzt das Zinsniveau von 10% auf 5% bei gleichem Zufluss von 100 Geldeinheiten, steigt der Kapitalisierungsfaktor plötzlich von 10 auf 20, was bedeutet, dass mein Break-Even-Punkt“ jetzt nicht mehr nach 10 Jahren, sondern erst nach 20 Jahren erreicht ist. Das bedeutet plötzlich, dass ich 20 Jahre diese 100 Geldeinheiten erzielen muss, um Break-Even zu sein.

Was heißt das für Sie?

Jetzt nehmen wir einmal an, Sie sind 45 Jahre, und Sie haben eine gleichalte Mitgesellschafterin oder einen gleichalten Mitgesellschafter. In Ihrem Gesellschaftsvertrag haben Sie eine sogenannte qualifizierte Nachfolgeklausel vereinbart. Jetzt verstirbt Ihre Mitgesellschafterin oder Ihr Mitgesellschafter bei einem Autounfall und hinterlässt eine Frau/ein Mann und zwei minderjährige Kinder, welche zwar gesetzliche Erben werden, aber die in der Satzung verankerte Qualifikation nicht erfüllen und deshalb alle Erben aus der Gesellschaft ausscheiden.

Also müssen Sie gemäß der Satzung den weichenden Erben eine Abfindung für den Gesellschaftsanteil bezahlen.

Und jetzt nehmen Sie mein Beispiel von oben: Im ersten Fall müssten Sie 10 Jahre mindestens die 100 Geldeinheiten verdienen, um die gezahlte Abfindung wieder erzielt zu haben (sie sind dann 55 Jahre alt) und im zweiten Fall 20 Jahre (dann wären sie 65 Jahre).

Und was hat das alles jetzt mit den Minuszinsen zu tun? Nun, eine Komponente bei dem Kalkulationszinssatz ist der sogenannte Basiszins (sog. risikolose Zinssatz), welcher von der deutschen Bundesbank nach Vorgaben der Europäischen Zentralbank neu berechnet und amtlich bekannt gemacht wird.

Dieser Basiszinssatz hat sich im Zeitraum 2008 bis 2021 von etwa 4,6% auf 0,1% reduziert und lag im Januar 2021 sogar bei -0,2%. Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus ergeben sich aktuell oftmals sehr hohe Kapitalisierungsfaktoren. Diese führen in der Bewertungspraxis zu sehr hohen Unternehmenswerten, welche man bei einem normalen Unternehmenskauf niemals bereit wäre zu zahlen, aber denen man sich in einem Streitfall erstmal stellen muss.

Am besten kurz nachschauen!

Vor diesem Hintergrund sollte man die Weihnachtstage nutzen, um noch mal in den eigenen Gesellschaftsvertrag hineinzuschauen und zu prüfen, ob das o.g. Problem gegebenenfalls nicht auch Sie treffen kann!

Falls Sie dann Fragen zu der Thematik haben, helfe ich Ihnen natürlich weiter!

Doch zunächst wünsche ich Ihnen, Ihrer Familie und allen Ihren Mitgesellschafterinnen und Mitgesellschaftern ein frohes Weihnachtsfest, schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!